Mutationsblues

From Zappa Wiki Jawaka
Revision as of 12:59, 18 January 2007 by Propellerkuh (talk | contribs)
Jump to navigation Jump to search

Mutationsblues
(Original-Titel in der EVO: Mutations blues / Mutation Blues)
Frank Zappa, interviewed von der East Village Other Vol.2, Nr. 5, 1967

For lack of the original text here the German translation from the book "Acid, Neue amerikanische Szene," herausgegeben von R.D. Brinkmann & R.R.Rygulla, März bei Zweitausendeins, Darmstadt 1969. © Alle deutschen Rechte März Verlag, Darmstadt 1969.

Frank Zappa: Wenn die Jugendlichen sich irgendwie sowas wie Verantwortlichkeit verschaffen könnten ... Mit anderen Worten, es wird ja doch viel über Revolution geredet: "Ha, wir werden Revolution machen, Mann, wir machen Revolution ..." Sie könnten allen erzählen, was los ist, aber sie wollen nicht. Die Jugendlichen heute, so wie sie sind, haben die Macht, wirklich etwas aufzureissen. Denen könnte das ganze beschissene Land gehören. Verstehen Sie, so dass es ihnen gehört, und dass man es auch sieht. Jetzt gehört es ihnen, ohne dass sie es wissen. Sie sind die wichtigste Konsumentengruppe; sie haben die Wirtschaft der Nation am Sack. Aber man muss denen mal klar machen, was das heisst.
Direkt und indirekt kontrollieren sie die Produktion aller grossen Industrien. Automobile werden so entworfen, dass der junge Mann in der Familie dem Alten klar macht: "Das is'n klasse Schlitten, Daddy." Und das funktioniert auch, also sagt der Vater: "Mm, das ist wirklich ein heisser Ofen, kommt mir vor, als ob ich nochmal 20 bin, mit dem Ding unterm Hintern." Die Alten identifizieren sich mit den Jungen, und die Jungen machen denen 'ne ganze Menge Arbeit mit der Geschmacksbildung. Natürlich haben bis jetzt die meisten Hersteller nicht die leiseste Ahnung, was die Jugend wirklich will, oder wohinter sie her ist. Nur ein paar bringen es tatsächlich fertig den Jungen wirklich was anzubieten, was up to date ist und worauf die stehen.
EVO: Was meinen Sie damit?
Ein paar Textilfabrikanten. Die Schallplattenindustrie versucht mitzuhalten. Schaffts aber meistens nicht, ungefähr ein Jahr, würd ich sagen, hinkt sie hinterher. Aber fast alles andere hat sich nur irgend ein junger Manager ausgedacht; so'n Typ meine ich: etwa 30 Jahre alt, der auf dem College wahrscheinlich massenhaft rumgevögelt hat und den alle andern Knilche in der Fabrik bewundern. Er sagt: "Ich weiss, was die Jugend will. Schaut doch selbst, wie jung ich noch bin." Er trommelt auf seine Brust und macht sich in der Firma wichtig. Er sagt: "Ich kenne doch die Jugend. Die wollen irgendwas Flottes. Hier hab ich zum Beispiel ...". Reisst das mal ebenso auf 'nem Meeting an, und dann sagen alle: "Klar, die Jugend ansprechen. Das ist die Masche. Pop Art, yeah yeah yeah." Und dann machen sie ein paar Pyjamas mit Campbell-Konservendosen überall drauf und machen ein Riesengeschäft. Yes, Sir."
So war's bis jetzt. Wenn sich die Jungen nur überall zusammentun würden und mal Inventur machen würden, sich ein Programm machen würden. Sie könnten das Land übernehmen und managen. Ich für meinen Teil fände es zum Kotzen, wenn sie jetzt damit loslegen wollten. Denn sie sind noch gar nicht im Stande irgendetwas zu managen. So wie sie jetzt sind, können sie noch nicht mal hin und zurück aufs Klo, ohne dass sie über die Tapete stolpern, Ich würde zum Beispiel sagen, dass es bei den Wahlen von 1972 durchaus drin ist, dass ein Kandidat gewählt werden könnte, der weder Republikaner noch Demokrat sein muss, sondern bloss jugendorientiert.
Es ist möglich, dass bis dahin vielleicht doch ein Stimmrecht für die 18jährigen durchgedrückt würde und wir einen 18jährigen Präsidenten bekommen könnten. Ich weiss, ein Haufen Leute hätte Angst vor einem 18jährigen Präsidenten, aber ich habe Angst vor den Präsidenten, die über 30 sind.
EVO: Was halten Sie von, sagen wir, den Peaceniks, Johnson, Süd-Vietnam und ...
Frank Zappa: Peaceniks ... Scheissdreck. Demonstrationen dieser Art sind zwecklos. Die sind nicht effektiv. Die Leute haben eine irregeleitete Vorstellung von dem, was wirkliche Politik bedeutet. Ich kann nicht glauben, dass diese Leute wirklich meinen, wenn sie mit einem Schild herumlaufen, auf dem "Peace" ... na gut, würd ich sagen, okay, krebst nur herum mit eurem Schild, und ihr werdet schon sehen, was dann passiert. Saudumm ist das.
Am Heiligenabend war ich oben in der Stadt und geriet mitten in so 'nen Vietnam-Friedensmarsach hinein, und Mann, da liefen doch diese Leute einfach so die Strasse entlang, und es war kalt, und sie trugen Einkaufstüten wo "Stop the War" draufstand. Da war die Frau mit ihrer Einkaufstüte und einem Haufen Flugblättern, und sie sang: "Stop the war in Vietnam, bring the troops back home. Stop the war in Vietnam, bring the troops back home."
Den ganzen Weg runter. Bis sie heiser war. Heiser für nichts. Vielleicht geht in ihren Köpfen folgendes vor: Pass auf, jemand wichtiges in dieser Stadt sieht uns hier herumlaufen, und der wird sagen: "Die Öffentlichkeit ist aufgebracht über den Krieg in Vietnam," und er wird's einem von seinen einflußreichen Freunden erzählen, und dieser Typ wird nach Washington laufen, und die dort werden davon hören, und die werden Schluß machen mit dem Krieg. Es ist doch möglich, dass sowas in ihren Köpfen vorgeht. Aber das ist totaler Blödsinn! Der Krieg muss beendet werden. Es ist ein habsüchtiger Krieg. So wie alle Kriege, schätze ich. Sogar die Kreuzzüge. Aber so lasst sich das nicht machen.
EVO: Was ist Ihrer Meinung nach der richtige Weg?
Frank Zappa: Nur der Präsident kann mit dem Krieg Schluss machen. Und wenn man jemanden will, der dieses Land so regiert, wie man's gerne haben möchte, und wenn man ein Peacenik ist und will, das irgendetwas getan wird, also Frieden meine ich, dann soll man jemanden dahinsetzen, der auch etwas tun kann. Man muss Leute in den Kongress holen, die etwas tun.
Die Peacelöcher, Mann, die haben doch keine Ahnung, wer oder was hinter der Regierung steckt. Die meisten Leute, von denen es heisst, ja die sind in der Regierung, tun doch überhaupt nicht, wenn man genau hinguckt, denn die Macht ist in Wirklichkeit in den Händen von wenigen. Und von denen sind viele nicht in der Regierung, denn die Regierung wird teilweise vom Big Business kontrolliert. Die Machtstruktur ist fast so wie bei südamerikanischen Regierungen, wo das Militär die Führer vor dem Volk beschützt.
Wo wäre der Präsident ohne die SS-Leute um ihn herum? Was wären wir ohne den CIA? Ich glaube, es wurde höchste Zeit, dass die Jugend herausfand, dass die Nation, zu der sie gehört, auf einer gigantischen Lüge aufgebaut ist. Und weil sie alle hier leben, müssen sie alle das Stigma ertragen von der gesammelten Scheisse ihrer Vorfahren, Mann.
Die kamen in ein Land und haben es einfach vergewaltigt. Die haben das ganze verfickte Land auf den Hund gebracht. Gleich am Anfang. Die ersten Siedler waren Arschlöcher. Guck sie Dir doch an; ein Haufen Leute aus englischen Gefängnissen. Die Originalamerikaner. Der Felsen von Plymouth. Shazam. Sie kamen hier an, nicht wahr. Diejenigen, die die Überfahrt überlebt hatten; schrecklich, mitten im Winter über den Atlantik, wahrscheinlich haben sie nur überlebt, weil sie die Leichen der Verreckten auffrassen.
Es war einfach ein Haufen religiöser Fanatiker, die hier landeten und die Schiss vorm Ficken hatten, und die eine industrielle Gesellschaft aufbauten. Und hier sass ein Haufen wunderbarer Indianer, die schon sehr hip waren -- auf geistiger Ebene -- und denen dieses verfickte Land gehörte. Und dann kamen diese Kretins, nicht wahr, kommen hier rüber und reissen sich das Land unter den Nagel, im Namen von Jesus Christus und dem Kreuz, im Namen des Felsens von Plymouth, im Namen der Schnallen an ihren Hüten, und sie holen sich einen Truthahn und schreiben diese ganze Scheisse auf, damit die Kinder sich damit identifizieren können und -- haste was kannste -- wir haben eine Nation.
Es war alles falsch von Anfang an. Sie haben's sorgfältig verarztet. Und jedes Jahr schmieren sie neue Vaseline drauf. Sie sagen: "Also, na schön, George Washington hat den Kirschbaum nicht wirklich abgehackt, und äh, er hat nicht wirklich zu seinem Vater gesagt 'Ich kann nicht lügen'."
Das hat er in Wirklichkeit alles nicht getan. Er war nur in etwa so. Sehr bald wird es heissen, dass er schwul war. Und alle die wirklichen Tatsachen über diesen Typ. Und dazu diese Krankengeschichten von Lincoln und all den anderen Helden. Also wissen Sie. Aber ... vielleicht kommt es nicht so weit.
Ich glaube, die Jugend ist augenblicklich in einer sehr zwiespältigen Situation. Sie kontrolliert tatsächlich das Land. Vom ökonomischen Gesichtspunkt aus. Aber sie sind auch die Zielscheibe für den Hass der ganzen Welt auf dieses Land, weil die, die das Land bisher regiert haben, immer so habsüchtig gewesen sind.
Überlegen Sie mal, Ihre eigene Mutter und Ihr Vater, Mann. Und damit es überhaupt eine Revolution geben kann, müssen sie sich gewissermassen von ihren Eltern lossagen. Sie müssen sich mal klar darüber werden, was Mammi und Pappi wirklich sind, und das wird für viele hart sein. Es ist eine Sache, meine ich, wenn man sagt: "Ich hasse meine Mutter, ich hasse meinen Vater, dieses verdammte Arschloch will mir nicht die Wagenschlüssel geben."
Aber es ist 'ne andere Sache, ihn anzuschauen und zu sehen, daß er ein Feigling ist. Und er ist noch Alkoholiker, und wenn er das nicht ist, dann schluckt er irgendwelche Pillen, und er ist ein Lügner, genau wie deine Mutter. Und sie sind alle einfach verfault, Mann, sie haben einen miesen Geschmack . Sie suchen sich die scheusslichsten Gardinen und Möbel aus. Sie wissen schon. Sie sind beschissen.
Versuche Sie mal, eine ganze Nation von Teenagern dahin zu bringen, dass sie Mammi und Pappi wirklich so sehen. Das ist schon eine ziemliche Arbeit, aber man kann es schaffen.
Nun ist die Frage, was sollen sie tun, wenn sie Mammi und Pappi einmal von der richtigen Perspektive gesehen haben? Sie sollen die alten Vorstellungen durch die Wahrheit ersetzen. Man soll ihnen ja keinen Mammi- und Pappi-Ersatz oder irgend so eine Scheisse geben. Selbstvertrauen sollten sie bekommen. Sie müssen den Sprung schon selbst machen. Sie sollten alle kollektiv Abbitte leisten für Sünden ihrer Eltern. "Ganz rein will sein, weil meine Eltern so verfault sind." Das sollten sie wirklich tun. Sie sollten wirklich ausbrechen und wirkliche Menschen sein. Was für eine Utopie!
EVO: Glauben Sie, dass irgendeine Art Psychotherapie dabei helfen könnte, ein wirklicher Mensch zu werden?
Frank Zappa: Ja natürlich, die Mothers.
EVO: Was halten Sie von Psychiatern?
Frank Zappa: Diese vergammelten Mutterficker! Diese Arschlöcher! Diese Idioten! Diese Feiglinge! Mann, das sind doch Mammi und Pappi, sie stecken nur in einer anderen Uniform! Die armen Schweine, die sich selbst hinters Licht führen. (Nachäffend:) "Ich besuche einen Analytiker. Ich habe diesen tollen Analytiker gefunden, er kostet nicht viel, und er kann einem wirklich helfen. Er erklärt mir genau, warum es bei mir nicht kommt."
Inzwischen ist dieser Psychiater selbst so pervers, dass er es nicht aushalten kann. Haben Sie jemals versucht, Stunden über Stunden jedermanns Probleme über sich ergehen zu lassen? Mann, genau so gut kann man auch in der TBC-Abteilung eines Krankenhauses ohne Gesichtsschutz arbeiten. Diese Typen müssen einfach die kranksten Typen auf der Welt sein. Es bleibt ihnen einfach nichts anderes übrig, wenn sie den ganzen Tag dieses Zeug anhören müssen. Das muss einfach schrecklich erdrückend sein ...
EVO: Was halten Sie von Zen und Yoga?
Frank Zappa: Ich habe mich lange für Zen interessiert. Das hat mich glücklicherweise vom Katholizismus abgebracht. Ich will mal sagen, östliche Religionen sind wunderbar, egal wo man lebt, bloss nicht in den Vereinigten Staaten. Das Beste, was sie für einen tun können, ist na ja, ein gewisses Gefühl der Ruhe, wenn man weit weg von allem ist, und für sich allein meditieren kann und enthaltsam ist. Das wirkliche Ziel der östlichen Religionen, die mystischen Erfahrungen und all das, diese Ziele in einer Industriegesellschaft zu erreichen ist schwierig, vielleicht sogar unmöglich.
Und ich glaube, dass die meisten Menschen, die behaupten, sie hätten die Satori-Stufe irgendwo in den Vereinigten Saaten heute tatsächlich erreicht, nehmen uns auf den Arm. Und ich glaube, diese Art von Erleuchtung steht in keinem Verhältnis zu der Menge von Zen-Liedern, die man singen kann.
Die Leute neigen dazu, jedenfalls heute, das mit einer, äh, Art intellektueller Allwissenheit gleichzustellen. Davon kann aber keine Rede sein. Es ist die grosse Tragödie, dass es den Underground gar nicht wirklich gibt; denn wenn es ihn gäbe, Mann, das würde die schon ziemlich erschrecken. Die meisten Leute, die angeblich Teil des Undergrounds sind, sind sehr feige ... und dumm.
EVO: Sie meinen, sie gehören nur deshalb dazu, weil sie anderswo nicht ankommen?
Frank Zappa: Sie sind dabei, weil sie nichts anderes tun wollen. Sie sind zu faul, um etwas anderes zu tun. "He, ich hab eine Lebensart gefunden, bei der ich mich als Gemüsemann bezeichnen kann, und keiner hat was dran auszusetzen! He, kannst du mir noch eine geben?" Und wenn einer ihm an den Karren fährt, sagt er einfach: "Was willst du? Ich bin ein Individualist, und so bin ich eben."
Unter denen, die ich in diesem angeblichen Underground getroffen habe, fand ich nur sehr wenige Leute, die wirklich bereit waren, irgendwas zu tun. Ich meine, keine Job, wo man sich von 9 bis 5 den Hintern platt sitzt, keinen Broterwerb; ich meine etwas tun für irgendeine Sache, eine wirkliche oder eine eingebildete. Alles ist so oberflächlich, Mann.
Arschlöcher! Wenn die Typen, die glauben, sie seien im Underground, auch nur für 5 Pfennig soviel Hingabe hätten, wie die im feindlichen Lager ... man muss ... Also diese Leute, die die Kriegsmaschinerie in Gang halten, tun es wirklich mit Hingabe, Mann. Das muss man schon, wenn man es so gut macht. Diese Leute, die diese Maschinerie in Gang halten, sind sehr krank ... aber sie haben Hingabe. Und bei denen, die die Madison Avenue in Gang halten, ist es genau so, sie haben nämlich etwas, an das sie glauben können. Und die meisten stolpern über den Schnürsenkel, die Tapete, ihr "kosmisches Bewusstsein" und was weiss ich noch.
Sie glauben nicht einmal, dass etwas geschieht, weil sie sich immer noch fragen, ob nun die Phantasie Realität ist oder die Realität Phantasie ist. Sie sind sich nicht sicher. Sie sind völlig verwirrt.
Aber die andern Typen da draussen, die wissen was los ist. "Ich habe einen Dollar ... Wenn ich dies tue und wenn ich jenes tue, werde ich 2 Dollar haben. Und ich glaube daran, und es ist wahr, ich werd's euch schon noch zeigen." Und so läuft der Laden. Und auf dieser Ebene operieren sie, und sie sind zäh, Mann. Sie beissen sich fest. Und sie haben ein Land aufgebaut. Ein hässliches, verficktes Land. Und das ist es. Sie haben es getan. Mit ihren eigenen Hirnen -- so gross wie Rosinen.


Frank Zappa geboren am 21. 12. 1940 in Baltimore, leitet die acid-rock-freak group "The Mothers of Invention".
"Wie jede Religion, so hat auch die platten-produzierende Verklärungsindustrie ihren Entmythologen gefunden, ihren Kaputtmacher. Zappa zersingt Pot, Polente und Politik. Er macht sich seinen dreckigen Reim auf die schmutzige Gesellschaft, ist die bissigste Beat-Laus, die sich die grat society bisher in den Pelz gesetzt hat, und seine Underground-Oratorien liefern den genialsten und bösartigsten Kommentar zum American way of life und American way of politics, der je in Noten gesetzt wurde." Uwe Nettelbeck