Difference between revisions of "The Lives of John Lennon"

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Albert Goldman describes on five pages talkings of John Lennon with Howard Smith and [[Howard Kaylan]] around the concert at the Fillmore East 1971
 
Albert Goldman describes on five pages talkings of John Lennon with Howard Smith and [[Howard Kaylan]] around the concert at the Fillmore East 1971
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p.544 of the German Edition, Albert Goldman, JOHN LENNON, EIN LEBEN, aus dem Englischen von Jürgen Abel, Jürgen Abel, Alfred Hans, Hainer Kober, Hubert Mania, Gesine Strempel und Sebastian Wolff:
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Am gleichen Tag erzählte Howard Smith, daß er ein Interview mit Frank Zappa machen werde. «Toll», rief Lennon mit der jungenhaften Begeisterung aus, die einer seiner liebenswertesten Züge war.
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«Ich wollte ihn schon immer kennenlernen. Weißt du, ich bewundere ihn nämlich wirklich.»
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«Wieso das?» fragte Smith erstaunt.
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«Er versucht wenigstens, etwas Neues aus der Form zu machen», erklärte Lennon. «Er hat die Band so unglaublich unter Kontrolle wie ein richtiges Orchester. Mir imponiert die Disziplin, die er in den Rock hineinbringt. Anscheinend kann das sonst niemand.»
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Smith, der merkte, daß Lennon nicht selbst an Zappa herantreten konnte, fragte: « Willst du ihn treffen?»
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«Das wäre großartig», erwiderte Lennon.
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Smith hielt daraufhin den Lennons einen kurzen Einführungsvortrag über den berüchtigten Zappa. «Er ist passiv-aggressiv», erklärte er. «Er will, daß man sich in seiner Gegenwart unwohl fühlt.»
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Mit diesen nützlichen Informationen versehen fuhren John und Yoko mit Howard und seinem Tontechniker zur Fifth Avenue I, einem Gebäude, das halb als Hotel, halb als Studentenheim der New York University diente und bei durchreisenden Bands als Absteige beliebt war. Hier machten sie sich daran, dem Löwen, den Smith den «Bartok der Rockmusik» nannte, in seiner Höhle gegen-überzutreten.
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Als ihnen der hochgewachsene, verschlossene Zappa mit düsterer Miene und dunklem Schnurrbart die Tür öffnete, teilte ihm Howard ganz beiläufig mit: «Ich habe jemand mitgebracht.»
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Zappa warf einen geübt ausdruckslosen Blick auf John und Yoko und sagte so beiläufig, als begrüße er den Tontechniker: «Guten Tag, freut mich.»
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Zappas Band reagierte allerdings anders. Sie sprangen auf und stürmten auf den großen Star zu.
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«Lennon benahm sich Frank gegenüber sehr respektvoll», bemerkte Smith. «Er benahm sich, als wolle er sagen: Vielleicht bin ich sehr beliebt, aber das hier, das ist etwas richtig Ernsthaftes.› Yoko tat, als habe Frank alles, was er je getan oder auch nur gedacht hatte, von ihr gestohlen. Ja, ja, ja, sagte sie immer wieder. ‹Das habe ich 1962 gemacht.› Zappa nahm überhaupt keine Notiz von ihr. Es war ihm vollkommen egal, was sie sagte.» Zappas Gedanken waren bei der wichtigen Show, die am Abend als Abschiedsvorstellung in der größten Rockkonzerthalle der Welt, dem Fillmore East, stattfinden sollte. Bill Graham mußte das Haus aufgeben, weil es bei den raketenhaft ansteigenden Gagen der Rockstars nicht mehr gewinnbringend zu führen war. Als das Gespräch auf die Show kam, sagte Howard beiläufig zu John und Yoko: «Warum tretet ihr heute abend nicht mit Frank auf?» Zappas Band johlte vor Begeisterung. «Frank blickte mich todernst an», berichtete Smith.
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«Er war nicht sicher, ob das eine gute oder eine schlechte Idee war.»
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Johns Antwort war typisch. «Ich habe lange nicht mehr gespielt», sagte er. «Ich wüßte gar nicht, was ich machen sollte. Wir müßten überhaupt proben.»
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«Nicht mit Franks Band», warf Howard energisch ein. «Mit denen brauchst du vorher nicht zu proben.»
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Jetzt merkte Howard, daß sich Frank allmählich mit dem plötzlichen Einfall anfreundete. «Endlich kapierte Frank, daß das ein großes Ereignis werden konnte. Also sagte er zu Lennon: Ich glaube, wir können dein Zeug spielen.› Die Jungs in der Band sag-ten: ‹ Ihr macht wohl Witze? Wir können jeden Akkord auswendig.› Frank sagte: ‹ Also gut, das dürfte kein Problem sein. Kannst du irgend etwas von unserem Kram?› Schließlich wurden sie sich einig.»
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Howard ahnte, daß John und Yoko sich verdrücken würden, wenn er sie nicht bis zu ihrem Auftritt eisern unter Kontrolle hielt.Zappa hatte vorgeschlagen, sie sollten gegen Ende der zweiten Vor-stellung, ungefähr um zwei Uhr früh auftreten. Howard hatte vor, sie in letzter Minute am Theater abzuliefern, damit sie keine Zeit hatten, hinter der Bühne zu sitzen und nervös zu werden. Aber trotz aller Vorsichtsmaßnahmen mußte er mit ansehen, wie sie von dem Augenblick an, in dem sie mit ihm das Studio verließen, zunehmend unruhiger wurden. «John und Yoko waren zwei nervöse Wracks.
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Sie sahen aus wie Nachwuchstalente, die zum erstenmal mit den Erwachsenen auf die Bühne dürfen. Er war ein Wrack, ein absolutes Wrack. Und sie war in keinem viel besseren Zustand. Sie hatte ausgesprochenes Muffensausen davor, mit einer künstlerisch so anspruchsvollen Band aufzutreten. Schließlich konnten die genauso-gut kreischen wie sie. Im Auto auf dem Weg in die Stadt hörte ich nichts als: ‹Was sollen wir tragen? Bist du sicher, daß wir richtig angezogen sind?>»
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Howards Antwort lautete: «Das macht keinen Unterschied. Zap-pas Leute tragen alles mögliche.»
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Sie kamen am Bühneneingang an, und man brachte die Stars eilig ins Haus und versteckte sie in der rechten Proszeniumsloge, wo die Tonanlage des Hauses installiert war. «Kaum hatte ich sie in der Loge untergebracht», erinnerte sich Howard, «fingen John und Yoko an sich umzuziehen. Sie zog sein Hemd an; er sagte: Gib mir deinen Gürtel!› Es war wie bei einer Schüleraufführung! Schließlich sagte einer von beiden: ‹Wir können nicht ohne Kokain auftreten!› Also lief ich durch die Straßen, bis ich einen Dealer fand. Ich kaufte Koks für das Geld, das sie mir gegeben hatten. Sie schnupften etwa ein Gramm. Das brachte sie wieder hoch. Jetzt funktionierten sie. Ohne den Stoff hätten sie es vielleicht nicht geschafft."
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Zufällig hatte die Hausfotografin des Fillmore, eine ehrgeizige Jungfilmerin namens Amalie Rothschild, über das Wochenende eine Sechzehnmillimeter-Kamera gemietet, weil sie einen Film über legalen Schwangerschaftsabbruch drehen wollte. Als sie entdeckte, daß John und Yoko auftreten sollten, beschloß sie, einen illegalen Mitschnitt der Show zu machen. Von der Tonkabine aus nahm sie mit einem Zoomobjektiv fast den ganzen Auftritt auf zwei Elf-Minuten-Rollen auf.
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Zappa hatte seine dritte Zugabe vor einem brüllenden, aufrecht stehenden Publikum gegeben, als um 2 Uhr früh die Bühnenschein-werfer erloschen. Die Leute waren dabei, langsam den Saal zu verlassen, als die Scheinwerfer plötzlich wieder angingen. Einen Augenblick lang wollte niemand seinen Augen trauen. Da standen leibhaftig und lebendig John und Yoko! John trug einen rehfarbe-nen Anzug aus Sämischleder und die rot-weiß-blauen Turnschuhe, die er am Vortag in der Eighth Street gekauft hatte. Yoko erschien in einer weit geöffneten schwarzen Bluse und Jeans mit einem Patro-nengurt. Als die Kids die Lennons erkannten, gingen sie in die Luft. Sie stiegen auf die Stühle, standen auf den Armlehnen und brüllten sich die Lungen aus dem Leib. Zappa sah mit finsterer Miene in den Zuschauerraum, als wolle er sagen: «Diese Drecksäcke! Was in drei Teufels Namen verstehen die von Musik?»
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John hielt eine rote Gitarre in der Hand, kaute Kaugummi und startete die improvisierte Show mit der Ansage, daß er ein Stück singen würde, das er früher im Cavern vorgetragen hatte. Er wirkte abwesend und unsicher und hielt das Mikro, als sei es ein Sprech-rohr. Aber als er sich mit weinerlich bettelnder Intonation zu unheilvoll trauernder Schlagzeugbegleitung an «Well (Baby Please Don't Go)» machte, hatte er das Publikum sofort fest im Griff. Dann erklang ein seltsam störendes Geräusch, das immer lauter und aufdringlicher wurde. Das irritierende Geräusch, das dem Klang einer defekten E-Gitarre ähnelte, wiederholte und parodierte jede einzelne von Johns perfekten Phrasen. Es war Yoko, die sich vordrängen mußte. Paradoxerweise präsentierte sie sich, während sie sich klanglich als störende Beigabe einschlich, optisch so attraktiv wie nie zuvor. Sie wirkte jugendlich, hübsch, sexy und ausdrucksvoll, wie sie da mit sinnlichen Körperbewegungen und weit ausgebreiteten Armen auf der Bühne stand. Dagegen sah Lennon aus, als würde er viel darum geben, woanders zu sein.
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Die nächste Nummer bestand darin, immer wieder das Wort «Scheißkerl» zur Begleitung einer Acid Rock-Nummer zu rufen. Sie endete mit einem langen Ausklang, bei dem John seine Gitarre mit . Rückkoppelungseffekt dröhnen lassen sollte. Dieser einfache Trick kostete ihn so viel Anstrengung wie einen Pfadfinder sein erstes La-gerfeuer. Als er die Gitarre schließlich zum Summen brachte, kreischte Yoko in einem Sack, den ihr die Band über den Kopf geworfen hatte. John gab ein Zeichen wie: «Ich werde hier nicht mehr gebraucht - macht weiter so!» und verschwand in den Kulissen.
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Yoko klagte noch Jahre später, John habe sie sitzen lassen, während sie hilflos in ihrem Sack saß.
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Als die Lennons ein paar Tage später entdeckten, daß ihre New Yorker Bühnenpremiere mitgeschnitten worden war, machten sie verzweifelte Anstrengungen, den Film in die Hände zu kriegen. Amalie Rothschild wurde ins Plaza geladen, wo sie mit eigenen Augen miterleben durfte, wie Superstars leben. «Mein erster Eindruck war ein Gefühl von demonstrativer Zurschaustellung von Reichtum ohne Sensibilität für den Wert der Dinge», erinnerte sie sich. «Überall lagen teure Kleider verstreut, und auf dem Fernsehapparat klemmte ein Bündel Hundertdollarscheine unter einem Briefbeschwerer.» Als die Lennons sie fragten, wieviel sie für den Film wolle, verlangte sie, von der offensichtlichen Mißachtung des Geldes, die sie sah, ermutigt, einen Stienbeck-Schneidetisch im Wert von etwa 12 500 Dollar. John und Yoko stimmten sofort zu und baten nur um ein paar Standfotos als Zugabe, weil sie «viel Wärme zeigten». Außerdem erinnerte sich Amalie Rothschild an Johns außerordentlichen Mangel an manuellem Geschick. Sie brauchte zwanzig Minuten, um ihm zu zeigen, wie die einfache Kamera funk-tionierte, die ihm Jonas Mekas geschenkt hatte. John konnte weder die Kamera noch den Belichtungsmesser bedienen. Amalie Rothschild war klar, daß John aus lauter Ungeschicklichkeit es nicht einmal versuchen wollte. Er hatte sich damit abgefunden, hilflos zu sein.</p></blockquote>
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Die Originalausgabe kam 1988 unter dem Titel «The Lives of John Lennon» bei William Morrow and Company, Inc., New York, heraus.
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Die überarbeitete deutsche Ausgabe erscheint in Übereinkunft mit John Hawkins and Associates, Inc.
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Umschlaggestaltung Walter Hellmann
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Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Oktober 1992
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Copyright © 1989 by Rowohlt Verlag GmbH, «The Lives of John Lennon» © 1988 by Albert Goldman
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Weitere Copyright-Hinweise s. S. 958 Alle deutschen Rechte vorbehalten Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck, Printed in Germany
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1990-ISBN 3 499 13158 7
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* [[71/06/05-06_New_York_NY_US_Fillmore_East]]
 
* [[71/06/05-06_New_York_NY_US_Fillmore_East]]
  

Latest revision as of 05:36, 10 October 2023

The Lives of John Lennon is a 1988 book about John Lennon.

Albert Goldman describes on five pages talkings of John Lennon with Howard Smith and Howard Kaylan around the concert at the Fillmore East 1971

p.544 of the German Edition, Albert Goldman, JOHN LENNON, EIN LEBEN, aus dem Englischen von Jürgen Abel, Jürgen Abel, Alfred Hans, Hainer Kober, Hubert Mania, Gesine Strempel und Sebastian Wolff:


Am gleichen Tag erzählte Howard Smith, daß er ein Interview mit Frank Zappa machen werde. «Toll», rief Lennon mit der jungenhaften Begeisterung aus, die einer seiner liebenswertesten Züge war.

«Ich wollte ihn schon immer kennenlernen. Weißt du, ich bewundere ihn nämlich wirklich.» «Wieso das?» fragte Smith erstaunt.

«Er versucht wenigstens, etwas Neues aus der Form zu machen», erklärte Lennon. «Er hat die Band so unglaublich unter Kontrolle wie ein richtiges Orchester. Mir imponiert die Disziplin, die er in den Rock hineinbringt. Anscheinend kann das sonst niemand.»

Smith, der merkte, daß Lennon nicht selbst an Zappa herantreten konnte, fragte: « Willst du ihn treffen?»

«Das wäre großartig», erwiderte Lennon.

Smith hielt daraufhin den Lennons einen kurzen Einführungsvortrag über den berüchtigten Zappa. «Er ist passiv-aggressiv», erklärte er. «Er will, daß man sich in seiner Gegenwart unwohl fühlt.» Mit diesen nützlichen Informationen versehen fuhren John und Yoko mit Howard und seinem Tontechniker zur Fifth Avenue I, einem Gebäude, das halb als Hotel, halb als Studentenheim der New York University diente und bei durchreisenden Bands als Absteige beliebt war. Hier machten sie sich daran, dem Löwen, den Smith den «Bartok der Rockmusik» nannte, in seiner Höhle gegen-überzutreten.

Als ihnen der hochgewachsene, verschlossene Zappa mit düsterer Miene und dunklem Schnurrbart die Tür öffnete, teilte ihm Howard ganz beiläufig mit: «Ich habe jemand mitgebracht.»

Zappa warf einen geübt ausdruckslosen Blick auf John und Yoko und sagte so beiläufig, als begrüße er den Tontechniker: «Guten Tag, freut mich.»

Zappas Band reagierte allerdings anders. Sie sprangen auf und stürmten auf den großen Star zu.

«Lennon benahm sich Frank gegenüber sehr respektvoll», bemerkte Smith. «Er benahm sich, als wolle er sagen: Vielleicht bin ich sehr beliebt, aber das hier, das ist etwas richtig Ernsthaftes.› Yoko tat, als habe Frank alles, was er je getan oder auch nur gedacht hatte, von ihr gestohlen. Ja, ja, ja, sagte sie immer wieder. ‹Das habe ich 1962 gemacht.› Zappa nahm überhaupt keine Notiz von ihr. Es war ihm vollkommen egal, was sie sagte.» Zappas Gedanken waren bei der wichtigen Show, die am Abend als Abschiedsvorstellung in der größten Rockkonzerthalle der Welt, dem Fillmore East, stattfinden sollte. Bill Graham mußte das Haus aufgeben, weil es bei den raketenhaft ansteigenden Gagen der Rockstars nicht mehr gewinnbringend zu führen war. Als das Gespräch auf die Show kam, sagte Howard beiläufig zu John und Yoko: «Warum tretet ihr heute abend nicht mit Frank auf?» Zappas Band johlte vor Begeisterung. «Frank blickte mich todernst an», berichtete Smith. «Er war nicht sicher, ob das eine gute oder eine schlechte Idee war.»

Johns Antwort war typisch. «Ich habe lange nicht mehr gespielt», sagte er. «Ich wüßte gar nicht, was ich machen sollte. Wir müßten überhaupt proben.»

«Nicht mit Franks Band», warf Howard energisch ein. «Mit denen brauchst du vorher nicht zu proben.»

Jetzt merkte Howard, daß sich Frank allmählich mit dem plötzlichen Einfall anfreundete. «Endlich kapierte Frank, daß das ein großes Ereignis werden konnte. Also sagte er zu Lennon: Ich glaube, wir können dein Zeug spielen.› Die Jungs in der Band sag-ten: ‹ Ihr macht wohl Witze? Wir können jeden Akkord auswendig.› Frank sagte: ‹ Also gut, das dürfte kein Problem sein. Kannst du irgend etwas von unserem Kram?› Schließlich wurden sie sich einig.»

Howard ahnte, daß John und Yoko sich verdrücken würden, wenn er sie nicht bis zu ihrem Auftritt eisern unter Kontrolle hielt.Zappa hatte vorgeschlagen, sie sollten gegen Ende der zweiten Vor-stellung, ungefähr um zwei Uhr früh auftreten. Howard hatte vor, sie in letzter Minute am Theater abzuliefern, damit sie keine Zeit hatten, hinter der Bühne zu sitzen und nervös zu werden. Aber trotz aller Vorsichtsmaßnahmen mußte er mit ansehen, wie sie von dem Augenblick an, in dem sie mit ihm das Studio verließen, zunehmend unruhiger wurden. «John und Yoko waren zwei nervöse Wracks. Sie sahen aus wie Nachwuchstalente, die zum erstenmal mit den Erwachsenen auf die Bühne dürfen. Er war ein Wrack, ein absolutes Wrack. Und sie war in keinem viel besseren Zustand. Sie hatte ausgesprochenes Muffensausen davor, mit einer künstlerisch so anspruchsvollen Band aufzutreten. Schließlich konnten die genauso-gut kreischen wie sie. Im Auto auf dem Weg in die Stadt hörte ich nichts als: ‹Was sollen wir tragen? Bist du sicher, daß wir richtig angezogen sind?>»

Howards Antwort lautete: «Das macht keinen Unterschied. Zap-pas Leute tragen alles mögliche.»

Sie kamen am Bühneneingang an, und man brachte die Stars eilig ins Haus und versteckte sie in der rechten Proszeniumsloge, wo die Tonanlage des Hauses installiert war. «Kaum hatte ich sie in der Loge untergebracht», erinnerte sich Howard, «fingen John und Yoko an sich umzuziehen. Sie zog sein Hemd an; er sagte: Gib mir deinen Gürtel!› Es war wie bei einer Schüleraufführung! Schließlich sagte einer von beiden: ‹Wir können nicht ohne Kokain auftreten!› Also lief ich durch die Straßen, bis ich einen Dealer fand. Ich kaufte Koks für das Geld, das sie mir gegeben hatten. Sie schnupften etwa ein Gramm. Das brachte sie wieder hoch. Jetzt funktionierten sie. Ohne den Stoff hätten sie es vielleicht nicht geschafft."

Zufällig hatte die Hausfotografin des Fillmore, eine ehrgeizige Jungfilmerin namens Amalie Rothschild, über das Wochenende eine Sechzehnmillimeter-Kamera gemietet, weil sie einen Film über legalen Schwangerschaftsabbruch drehen wollte. Als sie entdeckte, daß John und Yoko auftreten sollten, beschloß sie, einen illegalen Mitschnitt der Show zu machen. Von der Tonkabine aus nahm sie mit einem Zoomobjektiv fast den ganzen Auftritt auf zwei Elf-Minuten-Rollen auf.

Zappa hatte seine dritte Zugabe vor einem brüllenden, aufrecht stehenden Publikum gegeben, als um 2 Uhr früh die Bühnenschein-werfer erloschen. Die Leute waren dabei, langsam den Saal zu verlassen, als die Scheinwerfer plötzlich wieder angingen. Einen Augenblick lang wollte niemand seinen Augen trauen. Da standen leibhaftig und lebendig John und Yoko! John trug einen rehfarbe-nen Anzug aus Sämischleder und die rot-weiß-blauen Turnschuhe, die er am Vortag in der Eighth Street gekauft hatte. Yoko erschien in einer weit geöffneten schwarzen Bluse und Jeans mit einem Patro-nengurt. Als die Kids die Lennons erkannten, gingen sie in die Luft. Sie stiegen auf die Stühle, standen auf den Armlehnen und brüllten sich die Lungen aus dem Leib. Zappa sah mit finsterer Miene in den Zuschauerraum, als wolle er sagen: «Diese Drecksäcke! Was in drei Teufels Namen verstehen die von Musik?»

John hielt eine rote Gitarre in der Hand, kaute Kaugummi und startete die improvisierte Show mit der Ansage, daß er ein Stück singen würde, das er früher im Cavern vorgetragen hatte. Er wirkte abwesend und unsicher und hielt das Mikro, als sei es ein Sprech-rohr. Aber als er sich mit weinerlich bettelnder Intonation zu unheilvoll trauernder Schlagzeugbegleitung an «Well (Baby Please Don't Go)» machte, hatte er das Publikum sofort fest im Griff. Dann erklang ein seltsam störendes Geräusch, das immer lauter und aufdringlicher wurde. Das irritierende Geräusch, das dem Klang einer defekten E-Gitarre ähnelte, wiederholte und parodierte jede einzelne von Johns perfekten Phrasen. Es war Yoko, die sich vordrängen mußte. Paradoxerweise präsentierte sie sich, während sie sich klanglich als störende Beigabe einschlich, optisch so attraktiv wie nie zuvor. Sie wirkte jugendlich, hübsch, sexy und ausdrucksvoll, wie sie da mit sinnlichen Körperbewegungen und weit ausgebreiteten Armen auf der Bühne stand. Dagegen sah Lennon aus, als würde er viel darum geben, woanders zu sein.

Die nächste Nummer bestand darin, immer wieder das Wort «Scheißkerl» zur Begleitung einer Acid Rock-Nummer zu rufen. Sie endete mit einem langen Ausklang, bei dem John seine Gitarre mit . Rückkoppelungseffekt dröhnen lassen sollte. Dieser einfache Trick kostete ihn so viel Anstrengung wie einen Pfadfinder sein erstes La-gerfeuer. Als er die Gitarre schließlich zum Summen brachte, kreischte Yoko in einem Sack, den ihr die Band über den Kopf geworfen hatte. John gab ein Zeichen wie: «Ich werde hier nicht mehr gebraucht - macht weiter so!» und verschwand in den Kulissen. Yoko klagte noch Jahre später, John habe sie sitzen lassen, während sie hilflos in ihrem Sack saß.

Als die Lennons ein paar Tage später entdeckten, daß ihre New Yorker Bühnenpremiere mitgeschnitten worden war, machten sie verzweifelte Anstrengungen, den Film in die Hände zu kriegen. Amalie Rothschild wurde ins Plaza geladen, wo sie mit eigenen Augen miterleben durfte, wie Superstars leben. «Mein erster Eindruck war ein Gefühl von demonstrativer Zurschaustellung von Reichtum ohne Sensibilität für den Wert der Dinge», erinnerte sie sich. «Überall lagen teure Kleider verstreut, und auf dem Fernsehapparat klemmte ein Bündel Hundertdollarscheine unter einem Briefbeschwerer.» Als die Lennons sie fragten, wieviel sie für den Film wolle, verlangte sie, von der offensichtlichen Mißachtung des Geldes, die sie sah, ermutigt, einen Stienbeck-Schneidetisch im Wert von etwa 12 500 Dollar. John und Yoko stimmten sofort zu und baten nur um ein paar Standfotos als Zugabe, weil sie «viel Wärme zeigten». Außerdem erinnerte sich Amalie Rothschild an Johns außerordentlichen Mangel an manuellem Geschick. Sie brauchte zwanzig Minuten, um ihm zu zeigen, wie die einfache Kamera funk-tionierte, die ihm Jonas Mekas geschenkt hatte. John konnte weder die Kamera noch den Belichtungsmesser bedienen. Amalie Rothschild war klar, daß John aus lauter Ungeschicklichkeit es nicht einmal versuchen wollte. Er hatte sich damit abgefunden, hilflos zu sein.


Die Originalausgabe kam 1988 unter dem Titel «The Lives of John Lennon» bei William Morrow and Company, Inc., New York, heraus. Die überarbeitete deutsche Ausgabe erscheint in Übereinkunft mit John Hawkins and Associates, Inc. Umschlaggestaltung Walter Hellmann


Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Oktober 1992 Copyright © 1989 by Rowohlt Verlag GmbH, «The Lives of John Lennon» © 1988 by Albert Goldman Weitere Copyright-Hinweise s. S. 958 Alle deutschen Rechte vorbehalten Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck, Printed in Germany 1990-ISBN 3 499 13158 7


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